Eigentlich die gesamte Hinrunde über wurde Schalke Chef-Trainer Jens Keller stark kritisiert. Im Dezember wurden verschiedene Nachfolger gehandelt, weil es sicher schien, dass er freigestellt würde. Wurde er aber nicht. Nach 4 Siegen aus 4 Rückrunden-Spielen ist er nun gefeierter Held. Was aber hat sich geändert?

In diesem Blog habe ich schon häufig gegen Meinungen argumentiert, die für das öffentliche Auge, besonders auch in der Arena, als Tatsachen erscheinen. Dabei behaupte ich nicht, dass es falsch sei Keller zu kritisieren oder dass er einen fantastischen Job macht. Ich habe selbst in der Winterpause über die Datenlage gezeigt, dass Keller ein Under-Performer ist. Allerdings wird und wurde Keller meist für die falschen Dinge kritisiert.

Handschrift

Bei Keller ist doch überhaupt keine Handschrift zu erkennen!

Die Kritik, dass Keller keinen eigenen Stil habe, die Mannschaft keine Typischen Muster aufzeige, kochte besonders in der Saison in der alle über Guardiola staunen, sehr hoch. Nicht zuletzt darum, habe ich mich dessen bereits im November mal angenommen.

Generell halte ich Handschrift-Diskussionen für Dampfplauderei. Ein guter Trainer zwängt einer Mannschaft nicht seine Lieblingsspielweise auf, sondern findet die zum Kader und Gegner am besten passende Strategie. Keller hat ein offensichtliches Lieblingssystem, das 4-4-2. Damit probiert er immer mal wieder rum, bis er merkt, dass der Kader darauf nicht zugeschnitten ist. Die komplette Sommervorbereitung 2013 verschwendete er etwa daran, weil Szalai für viel Geld kam und probiert wurde ihn zusammen mit Huntelaar spielen zu lassen. Das ging schief, der Hunter verletzte sich zusätzlich früh und Keller musste eine andere Lösung finden.

Und genau das ist typisch für Keller, seine Handschrift, wenn man so will. Er probiert etwas, dann passierte etwas und Keller musste eine andere Lösung finden. Das erwartet man von einem guten Trainer. Beispiele dafür sind zahlreich, die verschiedenen Ausfälle vermutlich das offensichtlichste. Gerade als Höger & Neustädter sich gefunden haben, fällt Höger langfristig aus. Dann findet Ersatzmann Aogo gerade seine Rolle als 8er und auch er fällt aus.

Entwicklung der Mannschaft

Keller entwickelt die Mannschaft doch überhaupt gar nicht! Die spielen immer nur den gleichen Brei runter…

Jedenfalls probierte Keller hier von Saisonbeginn an verschiedene Dinge aus. Zunächst spielte Schalke sehr passiv im Abwehrpressing mit gelegentlichen Kontern. Später wurde Schalke mutiger und versuchte über etwas mehr Aggressivität (Leverkusen) ins Spiel zu kommen. Ausgerechnet gegen die Bayern versuchte man dann dem Gegner über Zweikämpfe zu kommen, was nicht wirklich funktionierte.

Besonders, wenn sich der Gegner auf’s Verteidigen und Kontern konzentrierte hatte Schalke trotz überzeugender Spielweise Probleme (PAOK, Steaua, Chelsea). Daraufhin arbeitete Schalker am Kombinationsspiel (Hoffenheim, Basel), doch es schien so als käme Keller nie so ganz weg von Passivität und Verteidigungspressing (Dortmund).

Es wurde aber schnell klar, dass Keller in dieser Phase um Grundordnung bemüht war um seine Angriffe strukturierter vorzutragen (Hertha). Aus der geordneten Defensive wurde Keller dann Stück für Stück mutiger und Aggressiver. Zunächst wurden das Mannorientierte Mittelfeldpressing und das Gegenpressing eingeführt (Bremen) und dann von Spiel zu Spiel verbessert und gesteigert (Stuttgart, Freiburg). Auch wenn das nicht immer erfolgreich Umgesetzt wurde (Steaua, Gladbach, Nürnberg, Hoffenheim) fanden die Pressingbemühungen ihren grandiosen Höhepunkt im großen Finale gegen Basel.

Nach einem ähnlichen Muster könnte man auch verschiedene andere Aspekte des Spiels untersuchen. Beispielsweise das Aufbauspiel, welches viele verschiedene Stufen durchlebt hat. Häufig sind derartige Dinge in Abhängigkeit zum Gegner und zum eigenen Kader zu stellen. Besonders der zur Verfügung stehende Kader hat in der Hinrunde stark variiert.

Jungend

Und die Jugend?! Der Keller baut die Jugendspieler ja gar nicht richtig ein!

Es wird oft vergessen, dass Schalke vor 2 Jahren deutscher Meister mit der U19 wurde. Im Finale gegen die Jugend der Bayern standen damals Kolasinac, Ayhan und Meyer auf dem Platz. Draxler hätte dort noch spielen dürfen, war aber bereits in die Bundesliga geholt worden. Insgesamt stehen mittlerweile 8 (in Zahlen: Acht) Spieler, die in der Knappenschmiede ausgebildet wurden, im Bundesligakader.

Meyer wurde in der Hinrunde von einem Talent zu einem erstaunlichen 10er. Kolasinac setzte seine grandiose Entwicklung aus der letzten Saison fort. Ayhan kam schon zu beachtlichen Einsätzen. Zusätzlich gibt es da noch den Sonderfall Goretzka, dessen Qualität offensichtlich ist, die aber noch nicht ganz auf die Straße gebracht werden konnte.

Doch es geht auch weiter. Ein Beispiel hierfür ist Avdijaj. Einer der TopScorer während Kellers Zeit als Schalkes U17 Coach. In dieser Saison trainiert er regelmäßig mit den Profis mit und war auch im Trainingslager in Katar mit dabei.

In der Bundesliga und International sucht die Knappenschmiede ihres Gleichen. Der Einsatz von jungen Spielern will allerdings wohl dosiert sein. Besonders bei Mannschaften mit hoher Fangemeinde und Medienpräsenz wie Schalke, ist es nicht so leicht für die Nachwuchsabteilung im Bundesliga-Zirkus Fuß zu fassen. Keller macht das allerdings sehr gut und beweist oft ein Händchen für die nächste Generation.

Team Spirit

Keller ist doch nur ein Grüßaugust, der kann doch gar nicht richtig auf den Tisch hauen!

Die gesamte Hinrunde über stellte sich die Mannschaft geschlossen vor den Trainer, wie es selten der Fall ist. Und das obwohl Keller selbst ein paar Anfängerfehler machte (stellte zu Beginn der Hinrunde einzelne Spieler an den Pranger und schimpfte oft über die Mannschaft als solche) und er so stark in der medialen Kritik stand. Das sind Indizien die zeigen, dass der interne Mannschaftsgeist nicht so verkehrt gewesen sein kann.

Ein Problem schien allerdings die Personalie Jermaine Jones gewesen zu sein. Erst spielte er, dann weniger, weil erfolgreicher ohne ihn. Dann fiel Höger aus und Jones musste wieder spielen. Dann wurde er Suspendiert, das wurde aber wegen der Verletzungsprobleme wieder zurück genommen, bevor er in der Winterpause endgültig abgesetzt wurde.

Als Spieler war Jones sehr umstritten, seine mannorientierte Spielweise passte nicht zu der Kellers Ballorientierung. Aber auch neben des Platzes gab es gelegentlich Knies. Nach einem Spiel konnte ich etwa beobachten, wie er allein zur Nordkurve ging. Als der Rest der Mannschaft sich auf dem Weg dorthin machte, war Jones schon unterwegs in die Kabine. Dazwischen gab es ein Wortgefecht zwischen ihm und Höwedes.

Fazit

Jens Keller wurde in der Hinrunde einiges zu Lasten gelegt, vieles davon völlig zu unrecht. Speziell die Punkte Kellers Handschrift, Entwicklung der Mannschaft und Jugend, sowie der Team Spirit waren alle nie so besorgniserregend wie sie schlecht geredet wurden. Nach den erfolgreichen Spielen zu Rückrundenbeginn fand jedoch ein medialer Schwenk statt. Plötzlich machte Keller alles richtig. In der Winterpause, so die landläufige Meinung, habe Keller irgendwas geändert, dass den Erfolg gebracht hat. Noch während der Winterpause wurde er stark kritisiert, für die wenig überzeugenden Testspiele. Jetzt weht ein anderer Wind. Die Wahrnehmung ist, dass Keller in der Hinrunde ein schlechter Trainer war und jetzt in der Rückrunde plötzlich alles super läuft.

In diesem Artikel zeige ich, dass sich nichts wirklich geändert hat (von Jones Abgang einmal abgesehen). Im Gegenteil, der Erfolg ist das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung. Alles von dem was Schalke plötzlich auszeichnet war bereits in der Hinrunde zu beobachten. Vieles zunächst noch etwas wacklig, wurde aber dann besser und besser. Besonders das letzte Spiel im Dezember, die Partie gegen Basel, passt da sehr ins Bild. Schalke hat hier genauso gespielt wie in den ersten Partien der Rückrunde.

Auch am Personal wird das deutlich: Boateng wächst immer besser in seine Rolle als 8er hinein, das ganze Mittelfeld mit Neustädter und Meyer findet sich immer besser. Fährmann gibt der Defensive mehr und mehr Stabilität. Und seit Huntelaar wieder spielen kann, ist der Angriff auch wieder gefährlicher.

Die Winterpause, die ja immer viel zu lang ist, stellt medial eine Zäsur da. Viel geändert hat sich allerdings nichts, nur etwas weiter entwickelt. Wie immer unter Keller. Die grundsätzliche Kritik bleibt jedoch bestehen: All diese Veränderungen dauern zu lang.

4 Replies to “Die wundersame Rückrunden-Steigerung des Jens Keller

  1. Klasse zusammengefasst und mit meiner vollen Zustimmung.

    Nur in einem Punkt nicht: Dass Veränderungen Zeit brauchen, ist doch klar. Dass die Zeit immer zu knapp ist in diesem Geschäft Bundesliga, ist auch logisch. Aber dadurch gehen Veränderungen eben nicht automatisch schneller. Und eines noch: Bestimmt wäre vieles schneller gegangen, wenn wir nur die Hälfte der von dir geschilderten Pflicht-Veränderungen nicht gehabt hätten. Denn zu Veränderung gehört auch Kontinuität.

    Mal sehen, wie wir in vier Wochen diskutieren.

    1. Ich stimme Dir völlig zu. Bei allen Veränderungen muss man die Gegebenheiten mit einbeziehen. Nichtsdestotrotz finde ich, dass es sehr lange dauerte bevor Schalke ein halbwegs stabiles Mittelfeldpressing zeigen konnte.

      Ich bin gespannt wie die Reise weiter geht. 🙂

  2. Mal abwarten, es kommen auch noch andere Spiele. Jetzt gegen Madrid , dann die Bayern und Dortmund ist ja auch noch dran. Bin mal gespannt wie die Presse reagiert, wenn plötzlich auch wieder Spiele verloren werden. Ich hoffe gegen Mainz kommt noch ein schöner Heimsieg dazu, danach kommt dann eine schwierigere Phase. Aber wie gesagt, mal abwarten!

  3. Ich bleibe dabei. Keller fehlen die Ideen gegen tief stehende Gegner (Mainz). Keller kann der Mannschaft kein erfolgreiches Pressing-Konzept vermitteln (Bayern, Real) und seine Außendarstellung („stellen wir doch einen Bus ins Tor“) ist katastrophal. Von Thomas Tuchel wurde er taktisch ausmanövriert. Schalke hatte gegen Mainz kaum 100-Torchancen. Es gibt in der „La Liga“ kaum einen Gegner, der gegen Real Madrid so schlecht eingestellt war. Wie sagte Ancelotti nach dem Spiel: Wir haben viel Raum vorgefunden, den haben wir genutzt. Gegen Bayern München fehlte die Abstimmung im Mittelfeld und mit einem ganz neuen System gingen die Schalker in Halbzeit 1 Baden. Ein Champions League-Club braucht einen Trainer, der taktisch auf höchstem Niveau mithalten kann. Eine Ausbilding im laufenden Betrieb kann sich ein Club wie Schalke nicht leisten.

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