Im Vorhinein waren sich die Anhänger beider Seiten sicher, dass die Gelben die Blauen schön an die Wand spielen werden und ohne Punkte mit einem Kantersieg nach Hause schicken. Punkte gab es tatsächlich nicht, aber an die Wand gespielt wurde niemand. Und das, weil Breitenreiter eine Taktik des Dortmunder Vorgängertrainers nutzte.

Die Grundformationen zu Spielbeginn und die Verteidigungsmuster von Schalke 04.
Die Grundformationen zu Spielbeginn und die Verteidigungsmuster von Schalke 04.

Die Borussia aus der Nähe von Lüdenscheid

Dortmund ist unglaublich stark gerade. Tuchel hat es nicht nur geschafft den Schluckauf aus der letzten Saison aufzulösen, sondern die Mannschaft auch noch deutlich verbessert. Die Gelben gehören mehr in die Champions League als ⅔ der Champions League Teilnehmer. Warum das so ist, ist mir hier egal, es geht nur darum, dass die Borussia wirklich sehr sehr stark ist, auch im Vergleich zum FC Schalke 04.

Dortmund hat die Spielfreude wiederentdeckt, die letztes Jahr verschütt gegangen ist. In einem 4-3-3 mit dem jungen Weigel als zentralen 6er dominieren sie gerne das Geschehen. Vorne kreuzen die Offensivkräfte dann gerne oder binden die Flügel schnell ein. Besonders Castro orientierte sich sehr am Zentrum um dann auf die Eckfahne zuzustürmen und unterwegs anspielbar zu sein. Das passte auch zwei, drei Mal sehr gut, der Ball blieb aber auf dem Weg zu Castro oder von ihm auf dem Weg zum Mitspieler oder Tor immer bei Matip hängen. Die Gegneranalyse hat offensichtlich funktioniert.

Der königsblaue Underdog

Wie Mannschaften erfolgreich bespielt werden, die im Vergleich zum eigenen Spiel deutlich stärker sind, hat Schalke in dieser Saison schon am eigenen Leib erfahren dürfen, in den Partien gegen Darmstadt und Ingolstadt. Oder, wie der Trainer von Liverpool es bei seinem vorherigen Arbeitgeber mal so schön gesagt hat:

Wenn wir es nicht schaffen deren Niveau zu spielen, dann ziehen wir sie halt auf unseres runter!
Jürgen Klopp, Sinngemäß

Schalke spielte wie ein Aufsteiger. Sehr tief und auf Konter lauernd. Dabei aber sehr aggressiv und über die komplette Spieldauer extrem engagiert. Wenn die unbedingt dominant spielen wollen, sollen sie doch, vom Tor halten wir sie fern. Das war der Plan.

Sowas wird in der Öffentlichkeit gern mit Angsthasenfußball beschimpft. Ich würde es eher Kalkül nennen. Einen Vergleich mit dem Schalkenaccio unter Roberto Di Matteo (siehe auch Catenaccio) verbietet sich allerdings, die passive und starre Spielweise von damals hatte mit diesem Derby wenig zu tun.

Defensivarbeit

Schalke agierte sehr aggressiv. Breitenreiter ließ seine Spieler sehr nahe am eigenen Strafraum agieren, so dass Dortmund wenig Geschwindigkeit aufbauen konnte. In einer raum-orientierten Manndeckung war jedem Spieler einen Raum des Spielfelds in dem er eindringende Gegenspieler zu attackieren hatte (siehe Grafik oben). Am deutlichsten wurde dies im Fall Kolasinac. Er baute sich defensiv als linker 6er kurz vor der 4er Kette auf und hatte meist ein bis drei gegnerische Offensivkräfte im Nacken. Der Dortmunder Spielaufbau lief meist über Gündogan, der auf der rechten Halbposition. Sobald er mit Ball am Fuß über die Mittellinie kam, stapfte Kolasinac auf ihn zu und setzte ihn unter Druck. Spielte Gündogan den Ball dann aus dieser Zone, zog Kolasinac zurück auf seine Stelle vor der Abwehr.

Dazu nahmen die blauen Flügelspieler die aufrückenden gelben Außenverteidiger direkt in Manndeckung. Und die blauen Außenverteidiger orientierten sich an den gelben Offensivkräften. Damit gibt es eine hübsche klare Zuordnung. Doch was wenn plötzlich mehr als ein Gegenspieler in einer Zone ist? Dann müssen andere unterstützen kommen, Gegenspieler müssen an Mitspieler übergeben werden und dergleichen mehr. All das funktionierte meist relativ gut. Doch dann ließ Meyer sich nach einem Einwurf in Unterzahl mit einem simplen Doppelpass düpieren (Flanke, Tor) und Caicara kam nach einer kleinen Kombination mit Mkhitarian nicht bei Schmelzer hinterher (Matip klärt, Ecke, Tor).

Offensivarbeit

Sobald der Ball aber gewonnen wurde, versuchte Schalke so schnell umzuschalten, wie möglich. Insgesamt versuchte Schalke dann auch schnell die Seite zu wechseln, um dem Dortmunder Gegenpressing zu umgehen. Richtig gut lief es, als man sich auf Hummel orientierte, dem einzigen Dortmunder der schon wieder keine gute Saison spielt.

Alles in allem war die Offensivarbeit aber sehr limitiert. Nicht nur weil Schalke nicht wollte, sondern auch weil Dortmund das gar nicht zuließ. Es gab nie den nötigen Platz um strukturierte Angriffe vorzutragen, also wurden Konter so gut ausgespielt wie möglich. Und da kam es ja zu einigen guten Chancen, inklusive der beiden Kontertore.

Die zweite Halbzeit

Tuchel wollte seinen Anhängern den Kantersieg bescheren, den sie sich erhofft hatten und wollte Schalke hinten raus locken. Das machte er ganz einfach, indem Dortmund sich ab Beginn der zweiten Halbzeit seinerseits hinten reinstellte und Schalke den Ball überließ. Schalke brachte Dortmund dazu, im eigenen Stadion zu kontern. Wenn auch auf anderem Wege, als man sowas typischerweise versteht. Das Ergebnis war das gleiche und Dortmund kam wie erhofft dazu ein paar saugefährliche Konter zu spielen. Einer davon war drin, ein paar Mal kam Fährmann dazu an seiner Bewerbungsmappe für die Nationalelf zu arbeiten. Bis zur 65. Minute hatte Schalke sogar auf fast 60% Ballbesitz.

Es kam dann Zwischenzeitig zu einem offenen Schlagabtausch: Konter wurde abgefangen, Gegenkonter eingeleitet. Hin und her. Das war Tuchel dann doch etwas zu riskant und er erlaubte wieder mehr Ruhe am Ball. Weiterhin versuchten beide Mannschaften mehr oder weniger durchgehend den Gegner auszukontern. Dortmund allerdings wieder mit mehr Ballbesitz.

Zwei Spieler im Fokus

Caicara, die Maschine, war im Derby-Modus, wie kein anderer auf dem Platz. Hoch emotional gab er alles. Kein Schalker hatte häufiger den Ball (79 Ballbesitzphasen). Kein Schalker machte mehr Druck nach vorne. Kein Schalker spielte mehr Fehlpässe (15). Seine unterirdische Passerfolgsquote von 65,1% zeigt, dass er sich vielleicht ein bisschen zu sehr anstecken lassen hat.

Regelmäßigen Lesern von Halbfeldflanke wird nicht entgangen sein, dass ich eine hohe Meinung von Kaan Ayhan habe. Bei der Aufstellung habe ich bemängelt, dass nicht er sondern Kolasinac drauf stand. Im Nachhinein glaube ich, dass die Auswahl klug war. Kolasinac ist schwächer im Stellungsspiel und im Spielaufbau als Ayhan, doch das war hier gar nicht gebraucht. Zweikampfstärke war gefragt und da ist Ayhan nicht immer ganz sauber, außerdem gehen gern mal die Emotionen mit ihm durch. In dem emotionalsten aller Spiele sicher ein Gefahrenfaktor. Kolasinac hat eine großartige Partie gespielt, vor allem das oben beschriebene Anlaufen von Gündogan war geduldig und sehr effektiv.

Derbyniederlagen sind doof

Am Ende war es eine verdiente Derbyniederlage, weil Dortmund das Spiel klar dominierte und mehr Tore geschossen hat. Blöd. Was aber auch bleibt ist die Gewissheit gegen einen bockstarken Gegner taktisch diszipliniert gespielt zu haben. Schalke hat nicht nur sehr wenig zugelassen sondern kam auch selbst zu relativ vielen guten Abschlüssen.

Insgesamt steht Schalke erst am Anfang einer Entwicklung. Wenn die Reise so weiter geht, wie Breitenreiter den Weg ebnet, dann werden zukünftige Revierderbys auch wieder verstärkt auf Augenhöhe stattfinden.

13 Replies to “Breitenreiter holt die Aufsteigertaktik raus: Borussia Dortmund – FC Schalke 04, 3:2

      1. Den Smiley kann man nicht mehr ändern. ich würde meinen Username anpassen. Wie wärs mit „rosaschläfrig“? 🙂

      2. „Hellwach“ und der Smiley passen wirklich ganz wunderbar zusammen. Sorry, die „Profilbilder“ werden automatisch generiert, ich hab da auch keinen Einfluss drauf. Wenn Du wert auf ein richtiges Profilbild legen solltest, müsstest Du das nur hier anlegen: https://www.gravatar.com

    1. Ich habe keine besonders hohe Meinung zu Di Santo. Ich vermute, dass Breitenreiter so viel Torgefahr wie nur irgend möglich auf den Platz bringen wollte. Und weil Sané gefährlicher ist, spielte der eben weiter vorne. Damit war er (und die Geschwindigkeit) auch von Defensivarbeiten befreit die Di Santo auf dem Flügel deutlich zu tun hatte.

      Insgesamt gehört ein Di Santo aber natürlich nicht auf den Flügel, sondern zentral. Ganz vorne. Aber da seh ich persönlich deutlich lieber den Hunter…
      Was findest Du?

  1. Wäre nicht vielleicht eine rechte Seite mit Caicara & Riether, die in diesen Spiel bessere Option gewesen? Ich denke da an die umfangreiche Defensivarbeit der Außenspieler und an die beschriebene Hektik Caicaras, der vielleicht die Ruhe Riethers gut getan hätte . Auch in der Offensive sehen ich mehr Vorteile in der Geschwindigkeit von Caicara als in der „Torgefahr“ von Di Santo auf dieses Spiel bezogen. Allerdings fande ich Di Santos Verteidigungsleistung in Ordnung, nach vorne ist seine Leistung insgesamt und auch in diesem Spiel überwiegend dürftig, seine Läufe wirken wirr und seine Entscheidungsfindung finde ich schlicht schlecht.

    1. Hmmm… Ich glaube die Aufstellung von Caicara war auch eine für die Kontersituationen. Aber Caicara vor Riether finde ich eine spannende Kombination.

      Bei Di Santo bin ich voll bei Dir.

  2. Di Santo brauche nur gute Flanken, dann klappt es. Ich habe langsam den Eindruck, er hat nicht so eine gute Ballbeherrschung. Warum hast du keine hohe Meinung zu di Santo?

    1. Geflankt wird ja relativ viel. Sich immer nur darauf zu beziehen, dass die Flanken besser werden müssen, finde ich eigentlich zu einfach.

      Ich glaube er bewegt sich viel und ist sehr engagiert. Dabei sind seine Bewegungen aber selten abgestimmt. Offensiv läuft bei ihm auch nicht viel zusammen und die Torgefahr empfinde ich auch als eher überschaubar.

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