Schalke zeigt einen Quantensprung was die Entwicklung des eigenen Spiels angeht und überrumpelt die Kölner. Dass die Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, wurde sichtbar daran, dass das Spiel eine Offensivschlacht wurde.

Die Grundformationen zu Spielbeginn.
Die Grundformationen zu Spielbeginn.

Vom Rhein

Die Kölner liefen in einem 4-2-3-1 auf, wobei Lehmann der tiefe 6er war und Gerhardt sich teilweise auch neben Bittencourt orientierte, wenn dieser nicht allzu hoch stand. In der Fernsehberichterstattung wurde daher von einem 4-1-4-1 gesprochen, was ich so aber nicht sehen würde. Bittencourt agiert sehr typisch als hängende Spitze, die sich viel in Angriffe mit dem Stürmer Modeste einschaltete, aber auch die Bälle gut verteilte.

Der FC versuchte früh zu stören und attackierte den Spielaufbau hoch. Hier wurde sich besonders die linke Schalker Seite ausgeguckt, da Neustädter von den Domstädtern wohl als weniger Spielstark eingeschätzt wurde. Weiter wurde dann versucht eng zu verteidigen und die Schalker in Zweikämpfe zu verwickeln. Die Taktik ist nicht doof, da Schalke eigentlich selten ein Zweikampfsplus verzeichnet. So auch hier, allerdings mit 51% zu 49% auch nicht allzu deutlich.

Vonne Ruhr

Im Spiel gegen Hamburg zeigte Schalke ein sehr agiles Mittelfeld und konnte sich so des gegnerischen Pressings entledigen. Für so ein Pressing sind Stögers Kölner bekannt, also war es zu erwarten, dass Breitenreiter einen ähnlichen Ball spielen lassen würde. Doch die Erwartungen wurden übertroffen, denn Schalke ging noch einen Schritt weiter. Nicht nur die 3 Spieler im Mittelfeld waren sehr beweglich, jetzt weitete sich das gleich auf die komplette Mannschaft aus. Zumindest in der ersten Halbzeit spielte Schalke etwas, das dem in gewisser Weise nahe kommt, was die Niederländer einst als ‚Totaal Voetball‘ bezeichnet haben. Jeder Spieler bewegt sich über das ganze Feld und nimmt dabei jede Rolle an, die eine Situation gerade erfordert.

fck-s04_ghmAber der Reihe nach. Schalke stand sehr hoch, selbst beim Aufbauspiel war zum Teil nur noch einer der Innenverteidiger in der eigenen Spielfeldhälfte. Das 3er Mittelfeld agierte wieder sehr variabel, wenn auch etwas deutlicher in drei Linien orientiert. Zwar wieder mal hoch, mal tief, aber fast immer stand Geis etwas hinter Højbjerg und Meyer mit etwas Abstand davor. Natürlich seitlich versetzt. Doch das war gut und gab etwas Orientierung, in einem sehr wilden Spiel. Da wo Meyer war, war vorne. Und dort war er überall. Genauso wie sich Geis überall in die Defensive einmischte. Und das zum Teil als Ende des Mittelfelds an der Kölner Strafraumgrenze.

Dahinter befanden sich zwar zwei Innenverteidiger, Matip & Neustädter bewegten sich aber häufig als wären sie eine doppel 6. Die beiden verlagerten und bauten das Spiel auf. über viele Stationen, auch meist über Geis selbst, aber das Spiel war immer vertikal, immer steil.

Geis bei den Böcken

Ein paar Worte zu Johannes Geis. Gegen Hamburg dosierte er seine Abkippbewegungen deutlich. Hier kippte er wieder sehr tief hinter die Innenverteidiger ab. Da die aber extrem hoch standen und das Spiel sehr vertikal war, gleichzeitig die Kölner aber stark pressten, fand ich Geis Bewegungen diesmal ausgesprochen gut. Besonders weil, und das ist die Crux, er diesmal sehr früh aufrückte.

Zu Beginn der Saison machte er es sich häufig zwischen den Innenverteidigern gemütlich und blieb dort, auch wenn der Ball schon längst in Strafraumnähe war. In diesem Spiel war das grundlegend anders. Sobald der Ball über die erste Linie hinweg gespielt wurde, schloss Geis auf und mischte sich ins Mittelfeld ein. Und dort sehr Variabel, mit einem erstaunlich großen Aktionsradius. Das frisst natürlich Kraft und so war es kein Wunder, dass er eine Viertelstunde vor Schluss ausgewechselt werden musste. Meiner Meinung nach war das die stärkste Partie von Geis in königsblau bisher.

Totaal Voetball

Der Spielaufbau lief nach wie vor über die Flügel. Und da die linke Seite stärker von den Kölnern angegriffen wurde, meist über Caiçara. Einmal mehr wurde er zur Ballverteilmaschine, noch vor Geis. Was aber dann passierte war sehr beeindruckend. Denn statt des typischen Hinterlaufens des Vordermanns, inklusive Doppelpass versteht sich, und der Flanke ins ungewisse gab es diesmal häufig mehr zu beobachten. Mehr Personal nämlich.

Nicht nur, dass ein Spieler aus dem Mittelfeld dazu stoß, nein, das waren meist zwei. Und, noch erstaunlicher, die Ballfernen Spieler rückten schlau ein. So zog sich das ganze Spielfeld wunderbar zusammen. Überall konnten schnell Überzahlsituationen erzeugt werden und wenn mal nicht, dann konnte leicht auf die andere Seite verlagert werden.

Dabei machte sich Schalke frei von Positionen. Selbstverständlich stand Schöpf meist rechts vorne und Aogo links hinten. Aber eben nicht stur. Alle Flügelspieler hatten viele Aktionen in den Halbräumen, jeder einzelne verstand sich zu jeder Zeit als erster Verteidiger. Gleichzeitig war jeder aktiv Teil des Spielaufbaus. Wer immer den Ball hatte, es fand sich jemand der absicherte, jemand der Anspielbereit war, jemand zur Aushilfe.

Das ganze Spiel wirkte viel durcheinanderer, als noch in der Vorwoche, als jeder sich so schön an seine feste Rollenbeschreibung hielt. Ein wuseliges Schalke. Aber das war kein Chaos, das war gespielte Variabilität. Und das finde ich, mit Verlaub, Hammergeil!

Es wurden unzählige Torchancen erspielt. Nach wie vor krankt es an der Chancenverwertung. Da aber gleichzeitig die Qualität der Torchancen verbessert wurde, ließ sich auch damit leben. Zwei Spiele mit je 3 Toren sprechen eine deutliche Sprache.

Risiko

Da ein derartig bewegungsfreudiges Schalke noch Neuland ist, funktioniert nicht alles wie es soll. Einiges wirkt hektisch und dadurch unsauber. Fehlpässe, Stockfehler oder unüberlegte Bewegungen passieren da, wo sie sonst nicht passieren würden. Das ist aber Teil des Lernprozesses. Die Spieler haben die Qualität das Tempo und die Bewegungen zu beherrschen, es fehlt nur noch ein bisschen an Übung.

Natürlich spielte Schalke  auch mit höherem Risiko als zuletzt. Persönlich glaube ich aber, dass das Risiko durch die Qualität im Kader abgefangen werden kann. Nicht zuletzt Fährmann hat das in dieser Partie einmal mehr eindrucksvoll bewiesen. Wenn die Innenverteidiger so hoch stehen haben es Konterspieler einfacher. Gleichzeitig sind Matip und Neustädter aber stark genug sowas früh einzuschätzen und zu entschärfen. Aber auch das muss weiter eingeübt werden. Nur so kann das Risiko kalkulierbarer werden.

Konter wurden durch die enge Staffelung aber auch häufig im Keim erstickt. Dass Köln dennoch zu so vielen Torchancen kam, zeigt aber, dass die Entwicklung hier noch nicht zuende ist. Was auch erstaunlich wäre, schließlich war dies das erste Spiel auf diese Art und Weise.

Die 2. Halbzeit

Der Formhalber sei noch erwähnt, dass Schalke sich in der zweiten Halbzeit stark zurückzog. Die Spielweise ist natürlich ein Kraftfresser. Aber es gab immer wieder Situationen in denen das gleiche Spiel aufblitzte. Nur 5 Minuten lang, aber das reichte, etwa für das 1:3.

Ausblick

Das nächste Spiel ist gegen die Hertha, die gern aus einer sicheren Defensive agiert und überfallartig Kontert. Das dabei mit einer hohen Effizienz. Schalke kann mit dieser Variabilität den Defensivverbund deutlich besser knacken als zuvor. Mit der starreren Spielweise hatte Schalke immer wieder Probleme mit tiefsitzenden Gegnern und damit für Überraschungen zu sorgen. Das gelingt mit der neuen Spielweise. Gleichzeitig muss natürlich auf die Konter geachtet werden. Die müssen früh erstickt (was ja schon ganz gut gelang) und schnell eingefangen werden.

Disclaimer

Ich benutze den Begriff des „Totaal Voetball“ hier als Vergleich zur Schalker Spielweise. Ich übertreibe hier natürlich hemmungslos. Das holländische Vorbild ist ein präzise orchestriertes Ensemble. So weit ist Schalke noch lange nicht. Viele der Bewegungen waren improvisiert. Doch hier ist etwas bei der Entstehung zu beobachten und dass hat mich so begeistert, dass ich den Vergleich angezogen habe, auch wenn er prinzipiell falsch ist. Die geehrte Leserschaft möge es mir verzeihen.

Vielleicht kommt Schalke dem Vorbild ja aber noch nahe… 🙂
Dann werde ich auch genauer darauf eingehen was dieses „Totaal Voetball“ genau bedeutet.

11 Replies to “Eine Halbzeit Totaal Voetbal.
1. FC Köln – FC Schalke 04, 1:3

  1. Stimme Jörg zu. Ich habe zwar einen Herzkasper beim Spiel bekommen, war aber absolut begeistert über die Spielfreude. Und dann erklärst du ganz verständlich warum und wieso es gestern so gut lief. Auch „hammergeil“ deine Analyse

  2. Coole Analyse. Ich fand das Spiel schon supergeil und habe gefeiert, dass wir gegen einen stark pressenden Gegner so viele hochkarätige Chancen kreierten. Das War ja schon gegen den HSV so. Mich machen rote Karten gegen unsere Gegner sonst immer nervös. Gegen sich einigelnde dezimiert Mannschaften tun wir uns ja traditionell eher schwer.

    Nach Deinen beiden Analysen verstehe ich viel besser, warum die Spiele so klAsse waren und freue mich auf die Weiterentwicklung.

    Danke für Deine sehr guten und interessanten Analysen.

  3. Kann mich den Vorrednern nur anschließen, klasse Analyse, die mir sehr gut vor Augen führt, warum ich zum einen Angst um meinen Blutdruck hatte, zum anderen aber total geflasht ob dieser Spielfreude war.

    Wenn das nach Hamburg die Tendenz ist, in die AB das Spiel unserer Mannschaft entwickeln möchte, dann gerne mehr davon! Wobei ich mir bewusst bin, dass hier sicherlich auch wieder Rückschläge kommen werden. Aber es macht einfach Bock und Lust auf mehr, wenn die Mannschaft so spielt!

  4. Ich bin auch immer mehr ein Fan von Johannes Geis. Was der für eine Entwicklung genommen hat! In der Hinrunde dachte ich, der wär taktisch etwas reduziert. Aber wie der sich mittlerweile bewegt, welche Ruhe der hat. Unglaublich geil das Tor zum 3:1. Da spielen die erst ein ganz sauberes PassSpiel auf rechts, und dann die superpräzise Verlagerung auf Aogo. Das ist Weltklasse.

  5. Schöpf ist eine Bereicherung, weil der vom Passspiel und von der GruppenTaktik eine Nummer besser ist als Sane. Erst den Gegner an die Wand spielen, und dann Sane als Konterwaffe.

    Caicara wird mehr und mehr zum Schlüsselspieler, weil wir über ihn vernünftig aufbauen können. Und Aogo auf links viel lieber als Kola, weil wir für die Spielweise Leute brauchen, die sehr konstant sauber spielen können,

    Die Idee, Matip und Neustadter als Doppel-sechs zu sehen, find ich klasse. Fährmann als Libero dahinter hat ebenfalls spielerisch zugelegt.

    Ich teile Deine Ansicht, dass das Spiel hammergeil war, und hab nicht verstanden, wieso in der Presse an der Abwehrleistung rumgekrittelt wurde. Das wird schon!

    1. Ja, genau. Wie in jeder Entwicklung gibt’s gelegentlich Sprünge. Letzte Woche ist so einer passiert. Das die Defensive ein paar Probleme hatte, geschenkt. Die stand bisher so fest, da werden M&N nicht lange brauchen.

  6. Sehr interessant und gut zu lesen!
    Hätte es gut gefunden, wenn auch noch etwas mehr auf die defensiven Probleme eingegangen worden wäre.

  7. Tolle Analyse – vielen Dank dafür.

    Erwähnen würde ich noch die enorme Verbesserung bei Højbjerg: Endlich war bei ihm mal gute Positionsfindung und gruppentaktische Einbindung zu sehen – Resultat waren eine ganze Reihe von guten Kombinationen und sogar Torbeteiligungen.
    Ich habe fast nicht mehr damit gerechnet, aber vielleicht waren die bisherigen Probleme in der Einbindung tatsächlich auf die verpasste Vorbereitung zurückzuführen und er findet seinen Platz in der Mannschaft so langsam.

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